Getreidefreie Pferdefütterung: Sinnvoll oder eine Modeerscheinung?
Viele Pferdebesitzer sind heutzutage verunsichert, wenn es um das Thema Getreidefütterung geht. In den Medien wird immer wieder behauptet, dass Getreide schädlich für den Organismus des Pferdes sei. Es werden immer mehr getreidefreie Müslis für Pferde angeboten, im Internet gibt es mittlerweile etliche Seiten, die getreidefreie Kost für Pferde propagieren. Auch bei uns rufen immer wieder verunsicherte Kunden an, die sich nicht im Klaren sind, ob Getreide überhaupt an Pferde verfüttert werden darf, oder ob es nur bei bestimmten Krankheiten vermieden werden sollte. Sie haben gehört oder gelesen, dass bei der Getreidefütterung „Schlacken im Körper“ entstehen, die den Körper „übersäuern“ könnten. Dies solle wiederum andere Krankheiten nach sich ziehen.
Probleme … Probleme?
Ob das tatsächlich so ist, versuchen wir hier zu klären. Im Folgenden stellen wir die großen Problembereiche der Getreidefütterung dar, so wie sie sich derzeit nach dem Stand des Wissens präsentieren. Man sollte sich aber beim Lesen bewusst sein: Jeder Organismus ist verschieden, nicht jedes Pferd reagiert gleich. Und: Diese Probleme treten in der Regel nur bei übermäßiger Getreidefütterung über lange Zeit auf!
Die Stärke-Zucker-Problematik
Zucker gibt Kraft, Getreide enthält vergleichsweise viel Stärke und Zucker, es ist also ein besonders attraktiver Energielieferant. Es kann aber beim Pferd im Dünndarm nur teilweise abgebaut werden. Deshalb wird es bei zu großen Mengen Getreide wahrscheinlich zu einer Störung der Darmflora im Dickdarm kommen, die zu viel Zucker nicht verträgt und darauf mit einer ganzen Reihe von damit einhergehenden Begleiterscheinungen reagiert: Es kann zu Blähungen, aufgetriebenen Bäuchen, Kotwasser und Durchfall kommen. In der Folge können Hautekzeme, Muskelprobleme und Schleimhautentzündungen entstehen. Das Darmmilieu kann sich also durch übermäßige Getreidefütterung negativ verändern. Nährstoffe werden dann nicht mehr gut aufgenommen und verwertet. Zum Beispiel wird Biotin im Darm des Pferdes von den dort siedelnden Bakterien hergestellt, wenn die Darmflora im Gleichgewicht ist. Bei einer gestörten Darmflora kann also ein Biotinmangel entstehen. Auch andere B-Vitamine kann der Körper dann nicht mehr selbst herstellen.
Das Calcium-Phosphor-Verhältnis
Getreide enthält viel Phosphor. Eine Übersäuerung des Organismus des Pferdes kann durch das stark phosphorhaltige Getreide verursacht werden, weil im Getreide deutlich zu wenig Calcium enthalten ist. Der sogenannte Basenhaushalt des Pferdes kann dadurch gestört werden. Dann können Pferde einen unangenehmen säuerlichen Geruch ausdünsten. Es wird behauptet, dass Getreide insgesamt zu wenig Mineralien enthalte, und sich dadurch der Basenhaushalt zusätzlich in Richtung sauer verschieben würde. So sollen Schäden entstehen an: Sehnen, Bändern und Knorpeln, der Leber, den Nieren, der Atemwege, dem Magen und dem Herz.
Übergroße Getreidemengen in der Fütterung können Gelenkerkrankungen verstärken, wieder, weil dann das Gleichgewicht von Calcium und Phosphor ungünstig ist. So kann in den Knochen des Pferdes zu wenig Calcium eingelagert werden, instabile Gelenke sind eine mögliche Folge. Auf Dauer folgt eine chronische Gelenkerkrankung, Abnutzung und weitere Fehlernährung führen dann zu Arthrose. Von einem Verschleiß sind zunächst die Knorpel betroffen, später folgen dann Veränderungen an den Knochen selbst, oft mit Entzündungen der Gelenke. Das Pferd leidet dann an Bewegungsstörungen und kann zum Beispiel lahmen. Meistens stellen sich Schmerzen ein, das Pferd wird unwillig, sich zu bewegen. Der Gang des Pferdes kann stumpf und klamm wirken. Wendungen werden nur sehr ungern ausgeführt. Viele solcher Pferde benötigen eine ganze Weile bis sie sich einlaufen. In seltenen Fällen werden Pferde für das Reiten unbrauchbar.
Die Glutenallergie oder Glutenunverträglichkeit
In sehr seltenen Fällen kann ein Pferd auch unter einer Glutenallergie oder einer Glutenunverträglichkeit leiden. Weizen und Roggen enthält sehr viel Gluten (es ist das Klebereiweiß, das Backwaren zusammenhält), es soll in diesen speziellen Fällen den Magen verkleistern und zu Entzündungen der Schleimhäute von Magen und Darm führen. Da über 80 Prozent der Immunzellen (die als Wächter dienen) im Darm sitzen, kann durch entzündete Schleimhäute eine Durchlässigkeit für Giftstoffe bzw. Fremdstoffe entstehen. So können für den Organismus unerwünschte Stoffe über den Darm in die Blutbahn des Pferdes gelangen und weitere Allergien oder Unverträglichkeiten für Getreide begünstigen oder auslösen. Dadurch können auch weitere Allergien entstehen gegen:
- Futtermittel: Gräser, Kräuter, Getreide und getreidehaltiges Kraftfutter, Ölsaaten, Obst, Gemüse, Luzerne, Melasse, Stroh, Heu und andere Zusatzfuttermittel.
- Kontakte mit Fremdstoffen: sogenannte Halmverkürzer-Mittel bei Getreidestroh, Imprägniermittel für Holz, Weichspüler für Wäsche, Waschmittel, Mähnenspray, ätherische Öle, Fellglanzspray, Lederöle und Lederbalsame, Lotionen und Cremes, Kühlgels, Mückenschutzmittel, Shampoo, Seife, Kunststofffasern, ungewaschene Baumwollstoffe (z. B. Satteldecken oder Regendecken, welche mit Chemikalien behandelt wurden), Chemikalien in Sägespäne-Einstreu z. B. Formaldehyd, etc.
- Medikamente: Impfmittel, Schmerzmittel, Antibiotika, etc.
- Pollen und Schimmelsporen: Baumpollen, Blütenpollen, Gräserpollen, Kräuterpollen, Pilzsporen, Hefepilze, Staubpartikel (oft mit Pilzsporen)
- Sonnenlicht
- Würmer, Milben und Insekten: Fliegen, Bremsen, Wespen, Bienen, Hornissen und Mücken (insbesondere Kriebelmücken alias Gnitzen)
- Federn von Tieren, Haare von Haustieren oder Nutztieren
Man sieht, dass beim Pferd das gleiche breite Spektrum an Allergien auftreten kann, wie auch beim Menschen. Eine (noch einmal: sehr seltene) Glutenunverträglichkeit kann also unter Umständen die Ursache dafür sein.
Pestizide im Getreide
Getreide wird oft sehr stark mit Pestiziden und Kunstdünger behandelt. Das kann die Organe des Pferdes belasten, insbesondere Leber, Nieren und Darm werden dann in Mitleidenschaft gezogen und das kann die Eintrittspforte für andere Erkrankungen öffnen. Diese Umweltgifte scheinen Hauterkrankungen wie zum Beispiel Mauke, Sommerekzem, Photosensibilität der Haut, etc. zu begünstigen.
Wie gehen wir nun damit um? Wie sieht die tägliche Fütterung aus?
Man muss unterscheiden: Allergie ist eine Überreaktion des Immunsystems. Unverträglichkeit entsteht durch andere Faktoren, zum Beispiel eine schwache Leber, entzündete Darmschleimhäute, etc. Nur in sehr seltenen Fällen leidet ein Pferd tatsächlich unter einer Glutenallergie. Und nur dann sollte Getreide wirklich komplett gemieden werden, da schon Kleinstmengen die allergische Reaktion hervorrufen können.
Wenn das Pferd tatsächlich Glutenallergiker ist, sollte als Ersatz für Getreide ein kaltgepresstes Leinöl als Energielieferant gegeben werden. Am besten zusammen mit eingeweichten Heucobs, Rübenschnitzeln oder Luzernencobs. Rübenschnitzel und Luzernencobs sind stark calciumhaltig und auch anderweitig mineralstoffreich. Luzernencobs sind in letzter Zeit etwas in Verruf geraten, weil sie angeblich zu viel Phytin/Phytate enthalten sollen. Dies ist aber nur bei den Luzernensamen der Fall. Das Luzernenheu (=Luzernencobs) enthält kein Phytin bzw. Phytate und deshalb kann das darin enthaltene Calcium vom Körper gut verwertet werden.
Bei einer Unverträglichkeit können unbedenklich kleine Mengen Getreide mit geringem Glutengehalt verfüttert werden, zum Beispiel Hafer oder Gerste (50 Gramm pro 100 kg Körpergewicht pro Tag). Hafer ist für Pferde besonders gut verdaulich, es enthält nur wenig Gluten, ist ballaststoffreich und enthält schleimhautschützende Schleimstoffe. Außerdem sind viele Mineralstoffe darin enthalten: Biotin, Zink, Eisen, Magnesium, etc.
Hat ein Pferd bestimmte Erkrankungen, wie zum Beispiel Hufrehe, Cushing, Mauke, Kotwasser, das Sommerekzem oder eine gestörte Darmflora, dann sollte vorsichtshalber auf Getreide verzichtet werden. Praktisch ist, einen Dreimonatstest durchzuführen und einfach mal so lange kein Getreide zu verfüttern. Zeigen sich in diesem Zeitraum Verbesserungen des Gesundheitszustandes, so sollte auch weiterhin auf Getreide verzichtet werden. Wenn der Zustand des Pferdes gleich bleibt, kann auch in Zukunft Hafer oder Gerste verfüttert werden.
Für den ganzen (überwiegenden) Rest der Pferde gilt: Getreide ist eine hervorragende Ergänzung zum Raufutter aus Heu und Stroh. Auch hier sind Hafer und Gerste die Getreide der Wahl, die Mengen müssen aber an die Leistung, die von dem Tier gefordert wird, angepasst werden.
Mengen
Wenn Pferde Getreide gut vertragen, kann man unbedenklich Hafer oder Gerste verfüttern. Täglich circa 0,2 kg Getreide pro 100 kg Körpergewicht sind eine gute Menge. Ein 500-kg-Pferd würde dann pro Tag 1 kg Gerste oder Hafer erhalten. Dies ist auch vertretbar, da ein Pferd sich nicht ausschließlich von Getreide ernährt. Es sollte immer die Gesamtfuttermenge betrachtet werden. Ein 500-kg-Pferd erhält pro Tag etwa 7,5 kg bis 10 kg Heu oder Weidegras und wenn es zusätzlich 1 kg Hafer oder 1 kg Gerste erhält, ist das Phosphor-Calcium-Gleichgewicht fast immer in Ordnung. Zur Sicherheit könnte man sehr wenig (5 Gramm pro 100 kg Körpergewicht) Futterkalk dazu geben. Gerste sollte immer geschrotet, zu Flocken gewalzt oder mehrere Stunden eingeweicht werden, da es ein sehr hartes Getreide ist. Ganze Haferkörner werden von manchen Pferden nicht verdaut, dann bieten sich auch hier Flocken an oder der Hafer wird ebenfalls eingeweicht oder geschrotet. Wer ganz sicher gehen will kauft Gerste oder Hafer vom Biobauern, dann sind keine oder fast keine Pestizide darin enthalten. Bauern können normalerweise das Getreide auch frisch schroten oder walzen.
Fazit
Betrachtet man die Vielzahl an Artikeln und Produkten, die nun getreide- oder (nicht nur bei den Pferden) glutenfreie Nahrung propagieren, muss man tatsächlich von einer Modeerscheinung sprechen. Es gibt nur selten gewichtige Gründe, wirklich komplett auf Getreide zu verzichten. Wie in allen Dingen gilt: Die Übertreibung ist schädlich, zu viel Getreide im Futter kann zu Schäden führen. Aber mit der richtigen Menge im täglichen Futter sollte ein gesundes Pferd auch gesund bleiben und ein hohes Alter erreichen.
Bildquellen
- Gerste vor der Ernte: Fotolia Gina Sanders
Wie sollte denn in % das Phosphor-Calcium-Gleichgewicht sein?
Das Calcium-Phosphor-Verhältnis sollte circa bei 2 zu 1 liegen, also 2 Teile Calcium und ein Teil Phosphor. Das kann man gut berechnen, wenn man weiß, wie viel Heu oder Gras das Pferd pro Tag erhält und welche Mengen es an Kraftfutter oder Mineralfutter bekommt. Auch sollte man wissen, ob der Bauer die Weiden mit Calcium düngt, ob es sich beim Heu um den 1. oder 2. Heuschnitt handelt und auch ein Anruf beim Landwirtschaftsamt in Ihrer Gegend kann sinnvoll sein um zu erfahren, ob das Heu/die Weiden in Ihrer Gegend genügend Calcium enthalten. Manche Leute lassen das Heu auch auf Mineralstoffe untersuchen, um dann den entsprechenden Dünger für die Weide zu wählen, falls dies notwendig sein sollte. Man kann auch einmal pro Jahr das Blut der Pferde im Labor untersuchen lassen, damit man weiß, ob das Calcium-Phosphor-Verhältnis im Gleichgewicht ist.